„Situation nicht besser als vor zehn Jahren“

20 Jahre gemeinsame europäische Währung: Kritischer Rück- und Ausblick von Bundesbank-Finanzexperten Jürgen Hirsch an der VHS

„Der Euro ist eine stabile Währung und ein erfolgreiches wirtschaftliches und politisches Projekt“, da er den Wettbewerb fördere, wovon Verbraucher profitierten, betonte Jürgen Hirsch von der Deutschen Bundesbank in Stuttgart.

Trotz niedrigster Zinsen gebe es im Euroraum zurzeit weder die Gefahr einer Inflation noch einer Deflation, sagt Jürgen Hirsch, der Leiter der Bereiche Volkswirtschaft und Öffentlichkeitsarbeit von der Bundesbank-Hauptverwaltung in Baden-Württemberg. Fotos: E. Klaper/AdobeStock/Peter_Polkorab

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Trotz niedrigster Zinsen gebe es im Euroraum zurzeit weder die Gefahr einer Inflation noch einer Deflation, sagt Jürgen Hirsch, der Leiter der Bereiche Volkswirtschaft und Öffentlichkeitsarbeit von der Bundesbank-Hauptverwaltung in Baden-Württemberg. Fotos: E. Klaper/AdobeStock/Peter_Polkorab

Von Elisabeth Klaper

MURRHARDT. Trotz niedrigster Zinsen gebe es im Euroraum zurzeit weder die Gefahr einer Inflation noch einer Deflation, so der Leiter der Bereiche Volkswirtschaft und Öffentlichkeitsarbeit von der Bundesbank-Hauptverwaltung in Baden-Württemberg in seinem Vortrag über 20 Jahre Euro an der Volkshochschule Murrhardt. Denn die Teuerungsrate sei konstant deutlich niedriger als zu D-Mark-Zeiten. In der globalen Finanzkrise ab 2008 habe die gemeinsame europäische Währung als Schutz gewirkt, da sie den Wert von Finanzvermögen stützte.

Aber: „Es hätte noch besser laufen können, wenn sich alle Euromitgliedsstaaten an die vertraglich vorgegebenen Stabilitätskriterien gehalten hätten“, verdeutlichte Hirsch vor zahlreichen Zuhörern im Grabenschulhaus. Stattdessen überschritten etliche die Staatsschuldenobergrenze von drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP), vor allem ab 2008/09. Dafür nannte der Finanzexperte mehrere Ursachen: Steigende private Verschuldung, platzende Immobilienpreisblasen, sinkende Wettbewerbsfähigkeit und folglich wachsende Defizite der Leistungsbilanz, sprich die Importe überstiegen die Exporte.

Zwar sei es gelungen, die kritische Haushaltssituation in einigen west- und südeuropäischen Ländern zu verbessern. Dies erfolgte ab 2010 durch die staatlichen Rettungspakete, Rettungsschirme und den permanenten europäischen Stabilitätsmechanismus ab 2012. Ebenso durch die Geld- und Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank (EZB), die seit der Finanzkrise 2008 permanent Krisen bekämpfe: Ohne Zustimmung der Parlamente habe sie versprochen, im Krisenfall unbegrenzt Staatsanleihen der Krisenländer zu kaufen. „Das hätte sie nicht dürfen, denn dabei stehen Tausende von Milliarden Euro auf dem Spiel“, kritisierte der Referent, doch habe dies die Finanzmärkte beruhigt.

Inzwischen seien in den betroffenen Ländern selbst Korrekturen in Gang gekommen, doch die Staatsverschuldung sei beispielsweise in Griechenland bis heute sehr hoch. Trotz günstiger Konjunktur und niedriger Zinsen erfolgte der Schuldenabbau nur in Deutschland konsequent auf unter 60 Prozent des BIP. Dagegen geschehe dies in einigen Krisenländern nur schleppend, wenn überhaupt, da dort die staatlichen Ausgaben zum Teil weiter stiegen.

Als großes Problem benannte der Referent notwendige, aber bis heute nicht umgesetzte Reformen, wie in Italien. Und in Frankreich werde es „entscheidend sein, ob Präsident Emmanuel Macron sein geplantes Reformprogramm trotz der massiven Gelbwestenproteste durchsetzen kann“. Auch bestünden in den Krisenländern weiterhin erhebliche Defizite in verschiedenen Bereichen der nicht preislichen Wettbewerbsfähigkeit, wie Qualität, Service, Zuverlässigkeit.

„Der Euro funktioniert nur, wenn alle Länder sich an die Regeln halten“, stellte Jürgen Hirsch klar. „Aus den Fehlern in der Krise gilt es, für die Zukunft die richtigen Lehren zu ziehen“, betonte er in seinem Fazit und Ausblick. Tragisch fand er, dass „die Situation heute nicht besser ist als vor zehn Jahren: Die Finanzmärkte haben sich nicht stabilisiert und die Strukturprobleme sind nicht gelöst, weil die Politiker das nicht geschafft haben“. Die Glaubwürdigkeit des Eurosystems sinke, zugleich stiegen die Vermögensrisiken. Darum sind laut dem Finanzexperten weitere Reformschritte nötig, um den Euroraum dauerhaft krisenfest zu machen.

So sollten die Sonderrettungsmaßnahmen zurückgenommen und die erforderlichen Reformen in stark verschuldeten, wettbewerbsschwachen Ländern konsequent umgesetzt werden. Dazu seien die Staatshaushalte durch Schuldenabbau zu stärken, die Verflechtung von Staaten und Banken zu lösen sowie die Probleme im Bankensystem zu bereinigen. „Der Ordnungsrahmen ist weiterhin unzureichend, die Balance von Handeln und Haften muss gewahrt bleiben“, betonte der Referent. Dabei gelte es, das finanzpolitische Regelwerk konsequent anzuwenden.

Durch eine Zentralisierung der Finanzpolitik in der Europäischen Union seien solidere Staatsfinanzen nur erreichbar, wenn die staatlichen Rechte auf diese zentrale EU-Ebene übertragen und dort demokratisch beschlossene Entscheidungsstrukturen geschaffen werden. Bestehe die nationale Eigenverantwortung fort, seien die geldpolitischen Regeln einzuhalten, für deren Überwachung eine unabhängige Institution sinnvoll wäre, verdeutlichte Jürgen Hirsch.

Sein Vortrag war die letzte Kooperationsveranstaltung der Volkshochschule mit dem Ortsverband der Europa-Union zum Semesterschwerpunkt Europa. Dazu zog VHS-Leiterin Birgit Wolf eine positive Bilanz: Die Veranstaltungen zu verschiedenen Aspekten des aktuellen Themas seien durchweg gut besucht gewesen und erfolgreich verlaufen. Und ihre Stellvertreterin Kirstin Krack dankte der Europa-Union für die optimale Zusammenarbeit.

„Situation nicht besser als vor zehn Jahren“

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Erstellt:
20. Mai 2019, 06:00 Uhr

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